Kapitel 8
Der Interviewpartner ist im Video zu sehen, dagegen bekommt kein Zuschauer je Sprecher von Kommentaren zu Gesicht. Persönliche Vorlieben – gute oder nicht so gute – spielen beim Kommentar eine deutlich geringere Rolle. Dennoch ist der Text aus dem Off in seiner Bedeutung für ein Video nicht zu unterschätzen.
Einem Interviewpartner im Video verzeiht der Zuschauer Aussagen, die sich nicht mit den eigenen Ansichten decken. Vielleicht deshalb, weil die Stimme des Interviewten sympathisch »rüberkommt«.
Diese Toleranzschwelle ist bei Kommentaren deutlich geringer. Im Video eingesetzt wirkt er distanzierter, unpersönlicher und objektiver.
Kommentare zu schreiben, sie aufzunehmen und gut in das Video einzubauen, bedeutet viel Arbeit. Weshalb verzichten Videos selten auf die unsichtbare Stimme?
Sie darf kritische Fragen zum Thema aufwerfen und Antworten darauf geben, ergänzende Informationen und tiefer liegende Zusammenhänge aufzeigen. Doch nicht allein Kritisches ist ihr erlaubt.
Der Kommentar darf ein Thema von Grund auf infrage stellen oder satirisch beleuchten.
Kommentare können in einem Video wie eine (sichtbare) Person agieren, den dramatischen Aufbau eines Videos unterstützen oder überhaupt erst ermöglichen.
Die Vorbereitung von Kommentaren gehört zu den frühen Aufgaben der Videoplanung. Nicht Wort für Wort, aber mit ihrer grundsätzlichen Aussage und der geschätzten Länge. Sie entstehen – meist in einer stillen Stunde am Schreibtisch – unabhängig und außerhalb der normalen Dreharbeiten.
Zuerst wird festgelegt, welche Rolle der Sprecher mit seinem Kommentar im Video spielt. Ist er der alles wissende und zudem geduldige Erklärer komplizierter Sachverhalte? Ein kritischer Beobachter oder gar Mahner, ausgestattet mit wertvollem Hintergrundwissen? Vielleicht ist er ein lustiger Kauz, der ein Thema mit einem Schmunzeln auf die Schippe nimmt?
Es ist vorteilhaft, bereits während des Entwurfs zu bedenken, welche Videos, Fotos oder Grafiken über den Bildschirm flimmern, während der Kommentar zu hören ist.
So könntest du Fotos aus früher Kindheit von Nachbarn beschaffen, Bilddokumente der Betriebsgründung, zufällige Schnappschüsse von der Grundsteinlegung des Kindergartens im Neubaugebiet, der Einschulung, dem sommerlichen Badevergnügen. Oder historische Aufnahmen der Stadt, ehrenamtlich vom Chronisten des Dorfes verwaltet. In den Archiven von Stadtverwaltungen und Betrieben lagern nicht gehobene und seltene Schätze der Vergangenheit. Material, das Filmklubs auf 8- oder 16-mm drehten und das Jahrzehnte später historische Bilder zu einem Kommentar über »Früher« liefert. Jeder dieser Wünsche ist mit zeitintensiver Sucharbeit verbunden und mit der medienfähigen Aufbereitung des historischen Materials für dein Video.
Endgültig festgelegt wird der Kommentar nach dem Videoschnitt. Die genaue Länge der zu kommentierenden Abschnitte lässt sich durch Ablesen des Timecodes in der Timeline bildgenau festlegen.
Während des Schreibens sollte häufiges Kontrolllesen auf dem Programm stehen. Dabei laut, deutlich, mit Pausen und im gewünschten Tempo sprechen. So behältst du die Kontrolle über die tatsächliche Länge des Sprechertextes. Unangenehme und zeitaufwendige Schnittkorrekturen am Video, die durch zu kurze oder zu lange Kommentare erforderlich sind, lassen sich so vermeiden.
Erzähle mit dem Kommentar Inhalte deiner Geschichte, für die keine Videoaufnahmen existieren.
Entstehen soll ein Hochzeitsvideo. Es fehlen Aufnahmen aus der frühen Kindheit des Bräutigams. In einem Schuhkarton finden sich leicht vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos, geeignet zum Einbau in das Video. Fehlende Informationen über das frühkindliche Leben des jetzigen Bräutigams kann ein Kommentar beisteuern.
Die erste Variante eines Textes:
Es war das Jahr der Wende, als der kleine Klaus das Licht der Welt erblickte. In seinem Heimatort, dem kleinen, fast 750 Jahre alten Städtchen am Rande des Harzes, änderte sich vieles.
Das muss der Zuschauer beim Hören des Kommentars überlegen und verarbeiten.
Fragen über Fragen, während das Video unerbittlich weiterläuft. Ständig muss der Zuschauer nachdenken. Der Frust bei ihm ist garantiert.
Die zweite Variante des Textes:
Im Jahr 1989 erblickte der kleine Klaus in Wernigerode das Licht der Welt. Es war das Jahr der Wende. Viele Veränderungen kündigten sich an, auch in dem fast 750 Jahre alten Harzstädtchen.
Hören und sofort verstehen. Die einfachen Sätze bieten dem Zuschauer keine Chance zum Ausstieg. Das Video nimmt ihn gefangen.
Bestimmt würde es dir nicht gefallen, wenn der mühsam geschriebene Kommentar wirkungslos an deinen Zuschauern vorübergeht.
Kommentarfehler zählen bei der Herstellung von Videos (leider) zu den Spitzenreitern. Die meisten lassen sich mit Aufmerksamkeit und etwas Mühe leicht vermeiden:
Bei keinem der Bausteine für ein Video ist ein Honorar so gut angelegt wie für einen professionellen Sprecher. Entfesselte Kameras mit wackelnden Bildern sind bestimmt sehr schlimm. Ein laienhaft klingender Sprecher ist unentschuldbar. Dieses Urteil mag hart klingen und dem Anliegen dieses Buches widersprechen.
Jedem Videomacher rate ich dringend, einmal den Kommentar zu seinem Video von einem Profi einsprechen zu lassen. Er wird es nie wieder anders wollen. Der Gewinn für das produzierte Video ist enorm.
Zu erklären ist diese Beobachtung damit, dass unsere (Fern-)Sehgewohnheiten in erheblichen Maßen durch den TV-Konsum geprägt sind. Für Bilder aus Krisen- oder Kriegsgebieten mit mangelhafter Qualität gibt es nachvollziehbare Gründe. Berichterstatter, Nachrichtenredakteure oder Kommentatoren, die ihr Sprechhandwerk nicht beherrschen, sind mir auf dem heimischen Bildschirm noch nicht zu Ohren gekommen.
Auch für Sprechprofis, die dein Videobudget nicht sprengen, gibt es Lösungen. Der eine oder andere Schauspieler aus dem nahe gelegenen Theater ist sicher gern bereit, einem engagierten Videofilmer seine Stimme zu leihen. Oft reicht ein ausgiebiges Kaffeetrinken als Entlohnung, bei größeren Projekten ein moderates Honorar.
In Laien- oder Studententheatern schlummern unentdeckte, oft sehr hilfsbereite und an Videoarbeit interessierte Talente, die auf einen kleinen Sprecheinsatz warten. Auch Mitglieder aus Rezitatorenzirkeln, Theologen, manchmal Pädagogen sind der Sprache und des Sprechens mächtig und sollten angefragt werden.
Im Video steht der Kommentar über den Dingen, er darf fast alles.